Heinrich Heuer

Vom Wunsch zu fliegen

Zum Tod des Graphikers Heinrich Heuer

Gustav Schörghofer SJ

Heinrich Heuer ist in der Nacht auf Sonntag, den 8. Jänner 2023, gestorben. Er hat ein stilles Leben geführt. Das Medium seiner Kunst war die Radierung. Jahrzehntelange Arbeit mit Kupfer haben ihn eine einzigartige Meisterschaft im Umgang mit diesem Material und seinen Möglichkeiten finden lassen. Das druckgraphische Werk von Heinrich Heuer zählt zu den bedeutendsten Schöpfungen österreichischer Kunst der letzten Jahrzehnte. Es lassen sich in ihm viele Beziehungen zur gleichzeitigen Malerei entdecken, zum abstrakten Expressionismus, zur Art brut oder zu Collagen mit vorgefundenem Material. Doch bewahrt die Kunst von Heinrich Heuer eine Eigenheit, die sie am ehesten vielleicht mit Dichtung vergleichbar macht. Die außerordentlichen gestalterischen Möglichkeiten dienten Heinrich Heuer zur Formfindung für ein Thema, „das sich bei mir von Arbeit zu Arbeit einfordert: die Gestaltung situativer Modelle (oder Szenen) des archaischen Gefühls, gefangen, eingeschränkt zu sein und nicht „fliegen“ zu können – und des skeptischen, aber erlösungshungrigen Aufbegehrens dagegen.“ (Heinrich Heuer, 80 Radierungen, 2003)
Heinrich Heuer wurde 1934 in Sophienhof (Pommern) geboren. Sein Vater war Pastor. Er selbst hat sich nicht als „kirchlichen Menschen“ verstanden. Er wurde in die Ostberliner Hochschule für angewandte Kunst aufgenommen, hat aber Berlin und die DDR bald verlassen. Von 1953 bis 1956 studierte er in Stuttgart bei Karl Rössing, von 1957 bis 1959 in Wien an der Akademie der bildenden Künste.
Seit 1959 war Heinrich Heuer mit der 1986 verstorbenen Künstlerin Christine Heuer verheiratet. In seiner Wohnung in der Kurrentgasse in Wien 1 hat es Heinrich Heuer nicht recht gehalten. Noch im hohen Alter ist er täglich mit dem Rad in sein Atelier gefahren. Vom großen Fenster des Ateliers in einem Gemeindebau konnte man in den Augarten und auf den mächtigen Flakturm schauen.
Die Arbeiten von Heinrich Heuer führen an ein Ende, das zugleich Anfang ist. Sie zeigen eine Folge von Explosionen, Brüchen, Ausbrüchen. Vom Wilden, Ungebärdigen, Elementaren einer Geburt ist das nicht weit entfernt.
So freundlich der Künstler selber ist, seine Kunst hat nichts Freundliches, Mildes. In ihr dominiert das Schwarz. Wenn Farben erscheinen, dann wie Glutnester im Schwarz, Wärme, die aus einer zerbrochenen Gestalt strömt. Warum kann das Betrachten dieser Blätter doch Freude machen? Weil in einem jeden von ihnen sichtbare Gestalt nicht als etwas Fertiges hingesetzt wird. Das Sinnvolle wird von Heinrich Heuer nicht einfach behauptet. Was normalerweise Sinn stiftet, all das Angenehme, Freundliche, Wiedererkennbare, Vertraute, – hier ist es nicht zu finden. Und wenn etwas vertraut erscheint, wird es bald zerfressen. Als würden Termiten über ein Holzhaus herfallen, oder Heuschrecken einfallen ins Blattwerk eines Baumes. Wie sich die Säure ins Metall frißt, so frißt sich eine zersetzende Kraft in die Formen.
Und dann zeigt sich auf einmal etwas Neues. Aus dem Untergang des Alten geht etwas hervor. Die Radierungen von Heinrich Heuer sind einer nicht enden wollenden Rettung von Schiffbrüchigen zu vergleichen. Heinrich Heuer geht in seiner Arbeit ein hohes Risiko ein. Er hält sich nicht an Gewonnenem fest. Einmal erobertes Gelände wird von ihm immer wieder preisgegeben. Den Betrachter nimmt er mit auf diese gewagte Fahrt. Nur so kann das Neue in den Blick kommen, die dem Scheitern abgerungene Gestalt.
Die letzten Monate von Heinrich Heuer waren von schwerer Krankheit gezeichnet. Auf meine Frage bei einem unserer kurzen Gespräche, ob er hinreichend Pflege habe, sagte er: Ja, mein Sohn schaut auf mich. Johannes Heuer wird auch auf das Werk seines Vaters schauen.

Gustav Schörghofer, 1953 in Salzburg geboren, ist Jesuit und Priester. Er kuratiert Ausstellungen im JesuitenForum, in der Jesuitenkirche und der Konzilsgedächtniskirche, in der Zacherlfabrik und im Gewächshaus des Kardinal König Hauses. Er ist Leiter der Jury des Otto Mauer Preises.

Wir trauern um Heinrich Heuer. Als ich 1958 von Zwettl nach Wien kam, war er schon da… In der Graphikklasse der Akademie am Schillerplatz, bei zunächst Professor Martin, dann Melcher. Ich bin froh und dankbar, dass er noch die Fertigstellung des Buches Meisterschule Melcher erlebt hat. Er war der Motor dieses Projekts und stand mir und uns allen die mitwirkten, zur Seite!
Ja, eine Ära geht damit zu Ende. Sehr, sehr viele werden ihn vermissen!

Fotos von Maria Mazakarini, Gunter Breckner und Familie Waber.